Kateryna Danilova: Die russische Invasion der Ukraine hat die ganze Welt erschüttert. Wie sieht die Gewerkschaftsarbeit im Krieg aus?
Oleg Borysov: Die Ausrichtung unserer Arbeit hat sich in den letzten Monaten stark verändert. Ganz zu Beginn dieses hinterhältigen Krieges haben wir uns als Gewerkschaft vor allem darum gekümmert, die Familien unserer Mitglieder aus den Kriegsregionen zu evakuieren und in Sicherheit zu bringen. Als Nächstes haben wir humanitäre Hilfe für unsere Gewerkschaftsmitglieder geleistet, besonders für diejenigen, die die okkupierten Regionen nicht verlassen konnten. Die Menschen brauchen Lebensmittel, sie brauchen Medikamente und vor allem auch Benzin, um dem Krieg und der Besetzung zu entfliehen. Das alles besorgen wir und geben an die Menschen weiter. Unsere Mitglieder waren für die ganze Hilfe sehr dankbar.
Die informationelle Arbeit bildet einen weiteren wichtigen Baustein unserer Tätigkeiten. Wir haben mit unseren Mitgliedern sichere Kanäle in den Sozialen Medien in der ganzen Ukraine aufgebaut. Außerdem haben wir Info-Material zu Themen der psychischen Gesundheit erstellt und verbreitet. Wegen des Krieges und des täglichen Beschusses wird vielen Menschen stark zugesetzt.
KD: Und wie ist es um die „klassische“ Gewerkschaftsarbeit bestellt?
OB: Zum Teil führen wir auch die Arbeit fort, die wir schon vor dem Krieg gemacht haben. Zum Beispiel prüfen wir auf den Baustellen, auf denen die Arbeit wiederaufgenommen wurde, die Einhaltung von Sicherheitsvorschriften. Die Situation auf den Baustellen hat sich in den letzten Monaten massiv verschlimmert, es gab ganz viele Unfälle. Sehr wenige Baustellen verfügen über Luftschutzkeller, wo sich die Arbeiter während der Beschießungen verstecken können. Wir bieten Unterstützung für die Arbeitgeber, die solche Räume für die Arbeiter errichten möchten.
KD: Wie hat sich die Situation mit den Arbeitsrechten in den letzten Monaten verändert?
OB: Auch hier hat sich die Lage nach der russischen Großinvasion verschlechtert. Vom ukrainischen Parlament wurden jetzt Änderungen zum Gesetz über den Kriegszustand verabschiedet. Die meisten davon haben auch die Arbeitsrechte negativ beeinflusst. Zum Beispiel erlauben sie den Arbeitgebern, die Arbeitsverhältnisse einseitig zu pausieren. So bleiben die Menschen formell weiterhin eingestellt, de facto arbeiten sie aber nicht und bekommen keinen Lohn. In manchen Betrieben wird nicht mehr gearbeitet, andere wurden zerbombt. Die Gewerkschaft hat es in diesen Zeiten nicht leicht, viele unserer Mitglieder haben ihre Arbeit verloren und wir bleiben unterfinanziert.
KD: Viele Menschen sind aus der Ukraine nach Deutschland suchen hier nach einer Arbeit. Können Sie von Ihrer Initiative berichten, die darum bemüht ist, diesen Menschen zu helfen?
OB: Noch vor dem Krieg hatten wir die Webseite http://migration.profbud.org.ua ins Leben gerufen, wo wir Informationen für ukrainische Arbeitsmigranten in der EU gesammelt haben. Wir informierten die Menschen über Themen wie Mindestlohn, Kranken- und Unfallversicherung, Tarifverträge usw. Nach dem Krieg haben wir Angaben hinzugefügt, die den Status der Kriegsflüchtlinge betreffen. Besonders gut an der Webseite ist, dass man hier auch die Kontakte der gewerkschaftlichen Rechtsberatungen im Ausland finden kann. Auch in diesem Bereich wissen wir die Arbeit von unseren ausländischen Kollegen sehr zu schätzen.
KD: Viele geflüchtete Menschen sind sehr gut ausgebildet. Sie können ein Gewinn für Deutschland sein, aber ein großer Verlust für die Ukraine. Wie schätzen Sie die Gefahr eines solchen „Brain-Drain“ ein?
OB: Der „Brain-Drain“ ist leider schon vor dem Krieg eine Realität gewesen. Wegen der Pandemie war der Arbeitsmarkt ins Ungleichgewicht geraten. Aber jetzt gibt es fast keinen Arbeitsmarkt mehr. Der Lohn ist massiv gesunken oder wird nicht ausgezahlt, was im Kriegszustand erlaubt ist. Dass die ukrainischen Geflüchteten in der EU ziemlich einfach eine Arbeit aufnehmen dürfen, hat natürlich die Entscheidung vieler Menschen mitbeeinflusst, nicht in die Ukraine zurückzukehren.
KD: Die europäischen Gewerkschaften haben der Ukraine ihre Solidarität erwiesen. Können Sie davon etwas erzählen? Welche Hilfe brauchen die ukrainischen Gewerkschaften noch?
OB: Die finanzielle Unterstützung bleibt weiterhin sehr wichtig. Damit können wir die Menschen evakuieren, aber auch ihren Lebensunterhalt nach der Evakuation für bestimmte Zeit sichern. Wir liefern frisches Wasser nach Mykolaiv, wo es derzeit keins gibt. Wir kaufen für die Menschen Medikamente und in den wiedereroberten Gebieten helfen wir, die beschädigten Häuser wiederaufzubauen. Dafür sind finanzielle Mittel nötig und ohne die Hilfe der internationalen Gewerkschaften könnten wir diese nicht bereitstellen.
Wir helfen den Geflüchteten, sowohl in der Ukraine als auch im Ausland. Unsere europäischen Kolleginnen und Kollegen haben uns dabei ab dem ersten Tag unterstützt. Wir mussten nicht einmal nach der Hilfe fragen. Das ist natürlich sehr berührend und eine solche Unterstützung ist unbezahlbar. Es ist eine wahre Freude zu verstehen, dass man in diesen schwierigen Zeiten nicht allein ist. Vielen herzlichen Dank Ihnen, dass sie unsere Arbeit möglich machen.
KD: Vielen Dank Ihnen für die ganz wichtige Arbeit, die Sie leisten!